Lolita Chammah verdankt ihrer Mutter Isabelle Huppert einen Teil ihres Talents. Ihre Karriere als Actrice aber hat sie selbst aufgebaut, wie sie bei einem etwas eigenartigen Treffen in Zürich betont.
Urs Bühler
Ihre erste Filmrolle hatte sie mit vier Jahren – unter der Regie des grossen Claude Chabrol und an der Seite ihrer berühmten Mutter. Damals wollte die Tochter von Isabelle Huppert und dem Filmproduzenten Ronald Chammah noch lange nicht Schauspielerin werden: Vielmehr träumte Lolita Chammah wie so viele von einem Dasein als Prinzessin. Daran erinnert sich die Französin im Gespräch in einem aparten Hotel-Dachzimmer an der Zürcher Langstrasse, und das Erscheinungsbild der 31-Jährigen spiegelt noch immer etwas von den Kleinmädchenträumen: Die Augenlider sind mit Glitzer geschminkt, die Henkel des Handtäschchens in Altrosa bestehen aus goldfarbenen Kettchen.
Hohe Präsenz in «Cherry Pie»
Chammahs Rolle im Schweizer Spielfilm «Cherry Pie» hingegen, für dessen Promotion sie in der Schweiz weilt, bietet keine märchenhafte Romantik: Die junge Zoé, auf der Flucht vor ihrer gescheiterten Beziehung und ihrem ganzen bisherigen Leben, torkelt auf einer somnambul anmutenden Reise verwahrlost und gottverlassen durch ein anonym wirkendes Europa. Wie Chammah diese Gestrandete zwischen Selbstverleugnung und -findung gibt, mit hochgeschlagener Kapuze und verlorenem Blick, ehe sie sich verwandelt, ohne ihren Ballast abwerfen zu können: Das vergisst man so schnell nicht mehr.
«J'ai inspiré ce film», sagt sie ganz unbescheiden, aber sicher auch nicht ganz unberechtigt: Lorenz Merz hat ihr in seinem ersten Langspielfilm, der diese Woche im Kino Riffraff anläuft, die Hauptrolle auf den Leib geschneidert. Der 33-jährige Zürcher ist bis anhin vor allem als Kameramann bekannt; gerade hat er dabei den Schweizer Filmpreis erhalten für seine höchst bemerkenswerte Arbeit in «Chrieg», dem Regiedebüt von Simon Jaquemet, mit dem er sich im jungen Filmkollektiv «8 Horses» engagiert. Mit Chammah war Merz liiert, als «Cherry Pie» entstand, und sie bezeichnet das Werk als «gemeinsames Baby». Die in starken Bildern eingefangene Handlung, soweit man von einer solchen sprechen kann, ist komplett auf die Protagonistin fokussiert (bei den wenigen Nebenfiguren handelt es sich meist um Laien, die dem Filmteam sozusagen über den Weg liefen bei den Dreharbeiten auf einer Reise von Paris nach Brighton). Es wird so wenig gesprochen, dass die Dialoge auf eine Seite passen.
Ebenfalls nicht übermässig redselig, aber deutlich weniger präsent als im Film zeigt sich die Actrice beim Treffen in Zürich. Mitunter wirkt sie fahrig, sie spielt beim Sprechen mit ihrem Haar und dem Handy, dessen Display sie wiederholt prüft. Dass der Journalist mit seinem Schulfranzösisch nicht eben druckreif nachfragt, macht die Lage nicht einfacher. Ist sie auch nicht Prinzessin geworden, so hat Chammah doch ein paar kapriziöse Züge einer Diva entwickelt. Auch wenn ihr Versuch, am Ende beim NZZ-Fotografen die Entscheidungsmacht über die Auswahl des Bildes einzufordern, den Gepflogenheiten in ihrer Heimat entsprechen mag.
Als der Interviewer das Gespräch auf Banlieues und Frankreichs Integrationsprobleme zu lenken versucht, verstrickt sie sich in umständlichen Gedankengängen. Um Reminiszenzen an ihr Debüt unter Chabrol gebeten, wird sie aber wacher. In «Une affaire de femmes» spielte sie damals die Filmtochter ihrer Mutter, welche die historische Figur Marie Latour verkörperte. Diese hatte im Zweiten Weltkrieg in Frankreich Frauen beim Abtreiben geholfen und war dafür hingerichtet worden. Kein besonders erbaulicher Stoff für eine Vierjährige, doch die Erinnerungen an den Dreh scheinen wach und positiv.
Mit der Filmwelt war die kleine Lolita so früh schon vertraut. Dass ihre Mutter ein Star war, realisierte sie erst später. Und bis sie selbst das nächste Mal vor der Kamera stand, sollten zwölf Jahre verstreichen. Etwa zum gleichen Zeitpunkt wurde der 16-Jährigen klar, dass sie keine Prinzenbraut, sondern einzig und allein Schauspielerin werden wollte. Dabei entdeckte sie vor allem die Bühnenkunst für sich, wenngleich sie ein Studium an der Ecole du Théâtre national de Strasbourg bald wieder abbrechen sollte. Die Ausbildung sei nicht das Richtige für sie gewesen, sagt sie. Zudem fand sich auch so genug Arbeit, im Film wie auf der Bühne. Soeben ist sie etwa im Pariser Théâtre de l'Œuvre an der Seite von Valeria Bruni Tedeschi zu sehen gewesen, als wortlose Sekretärin in Rainer Werner Fassbinders «Die bitteren Tränen der Petra von Kant».
Immer die Frage nach Maman
Als der Befrager etwas auf das Mutter-Tochter-Thema eingehen will, das er bewusst erst am Ende anreisst, kommt nur kurz Unmut auf. Dann hält sie ihn im Zaum. Ja, es nerve manchmal, immer auf ihre Herkunft angesprochen zu werden. Zudem gebe es da nicht viel zu sagen. «Wir sind uns nah, sie ist stolz auf das, was ich tue, verfolgt dies sehr genau. Aber sie gibt mir keine Tipps und Ratschläge, nicht zu viele jedenfalls.» Dass sie 2011 in «Copacabana» erstmals wieder gemeinsam vor der Kamera standen, bezeichnet sie als amüsante Erfahrung.
Hat es ihr denn Türen geöffnet, dass sie die Tochter von La Huppert ist? «Non», sagt sie dezidiert. Sie habe den Punkt, an dem sie jetzt stehe, selbst erreicht. Ihre Mutter wird umgekehrt in Medien mit der Aussage zitiert, Lolita müsse ihren Weg ganz für sich finden, wie auch sie es einst getan habe. Vieles deutet darauf hin, dass die Tochter auf Kurs ist, um aus dem langen Schatten herauszutreten; daran ändert auch ein eher flaues Interview in Zürich nichts.
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